Reißen, Schleifen, Schaben

127. Ausgabe der MIB-Improvisationen zu Gast im Café Grün

Von Christian Emigholz

 

Das Café Grün im Fedelhören ist ein traditioneller Ort für Jazz und improvisierte Musik. Allerdings liegt es schon eine Weile zurück, dass Musiker von Phil Minton bis Marilyn Crispell, von David Moss bis Alexander von Schlippenbach, vom Rova Saxophone Quartet bis zur Skeleton Crew hier aufgetreten sind, nämlich 25 Jahre.

 

Seit eineinhalb Jahren knüpft das Café nun vorsichtig und unregelmäßig an diese Tradition wieder an. Jetzt war die MIB-Reihe „Improvisationen“, die auch schon auf eine fast 20-jährige Geschichte zurückblicken kann, mit der 127. Ausgabe an zwei Tagen mit insgesamt vier Formationen hier zu Gast.

Das eröffnende neue Bremer Quartett KLANK war gleich Beleg für die Offenheit der Reihe, denn hier treffen Improvisatoren wie Reinhart Hammerschmidt (Bass) und Hainer Wörmann (Gitarre) auf den Geiger und Vokalisten Christoph Ogiermann, der sich im Grenzbereich zwischen Komposition und Improvisation bewegt, und den Perkussionisten Tim Schomacker, der früher eher in minimalistischen Rock-Avantgarde-Zirkeln zuhause war.

 

Zwischen Konzeption und Freiheit war das spannende Set des Vierers angelegt, das, ganz seiner Namensgebung entsprechend, Forschungen zwischen Klang, Ton und Geräusch, zwischen expressiver Emotionalität und fixierter Struktur betrieb. Zu Letzterem lässt sich das Eröffnungsstück auf der Galerie im 1. Stock zählen, bei dem es vordringlich um das Hören (und damit Dechiffrieren) der Geräusche ging, weniger um das Sehen ihres Entstehens: Das Tropfen nasser Handtücher in Eimer, Zerreißen von Papier, Schleif-, Schabe- und Quietschklänge verdichteten sich zu einer schlüssigen Sinfonie des Alltäglichen.“ Ähnlich durchkonzipiert war auch das zweite, nun unten inszenierte Stück, bei dem KLANK vier Graphiken von Hammerschmidt (jeder Musiker eine) in Klang- und Geräuschsequenzen „übersetzte“. Zuletzt – nach der Pflicht quasi die Kür – folgte ein freies Stück, das mit orgiastischen und beängstigenden Momenten aufwartete. (...)

 

Weser-Kurier, 16. Juni 2008

 

 

Poetische Spachtel
KLANK in der Galerie 149 • Von Ulrich Müller


In der Galerie 149 ist zur konzertanten Performance angerichtet. Auf einem Tischchen liegen Bögen, Bürsten und Schaumstoffe, eine Glühbirne, ein Schwamm und Schnipsel aus Styropor, Putzwolle, Dosendeckel und zwei weiße Plastikgabeln. Und das ist nur eine von vielen sorgfältig arrangierten Ablagen, Experimente bedürfen eben einer präzisen Anordnung.


Kann ein Klang ein Klang sein und sonst nichts? Dieser Frage ging am Mittwoch im intimen Rahmen der Galerie 149 das Bremer "Klank"-Quartett nach, und die Performer Reinhart Hammerschmidt (Kontrabass, Zeug), Christoph Ogiermann (Violine, Stimme, Zeug), Tim Schomacker (Alltagsperkussion, Zeug) und Hainer Wörmann (elektrische Gitarre, Zeug) führten das Publikum dabei nicht nur durch die Welt der Klänge, sondern streiften auch Himmel und Hölle. Stampfend und klopfend, raschelnd und knitternd, ächzend und stöhnend wurden tausende von mehr oder weniger angenehmen Geräuschen erzeugt, die sich im An- und Abschwellen bei aller Improvisation immer wieder zu durchdachten Kompositionen fügten.
Die Töne von vier Luftballons, auf denen mit feuchten Fingern gekreist wird, können ebenso wie "singende" Spachtel durchaus poetisch sein - man durfte diese Performance allerdings nicht nur hören, man musste sie auch sehen. Schomacker schabte auf dem Boden kriechend Kerne zusammen, Ogiermann sorgte mit einem Schneeschieber für archaische Geräusche, Hammerschmidt malträtierte den als Resonanzfläche genutzten Bass mit den Händen oder mit dem Bogen. Allein Hainer Wörmann ließ es gemächlich angehen, strich mit stoischer Ruhe über Plastikverpackungen ober pfriemelte verfremdende Gegenstände unter die Gitarrensaiten.


Ein Hörerlebnis, für das der Galerie 149 und dem Verein für Neue Musik "unerhört" zu danken ist. Und spätestens bei Tim Schomackers Zugabe mit bisher Ungenutztem bewahrheitete sich einmal mehr Schillers ästhetisches Diktum: "Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt."


Nordsee-Zeitung, 11. November 2011

 

 

Horchen statt nur hören
Finale: Improvisationsquartett KLANK bei der Literarischen Woche
Von York Schaefer


Überlieferte Erinnerung ist meistens Text, immer seltener aurale Erzählung, im Kampf gegen Verlust und Vergessen dominiert das geschriebene Wort. Erst Recht während einer literarischen Woche. Da war es nur konsequent, dass sich das Bremer Improvisationsquartett Klank, das ja bekanntlich auch in der Musiksprache einer eigenen Grammatik zwischen Klang, Ton und Geräusch folgt, zum Abschluss der wortreichen Veranstaltung der Frage hingab, was eigentlich vorher war. Vor dem Sprechen, vor der literarischen Kunst, vor diversen Gewissheiten?   


Um Antworten zu finden, wird für die Performance mit dem vielsagenden Namen "¡Bröök!" in der Galerie Mitte im Kubo der Raum abgedunkelt. Der herbeigeführte Black Out sozusagen. Stille zieht ein, bevor die vier schwarz gewandeten Herren an den Standmikrophonen die Vielfalt des menschlichen Atems als vorsprachliche Geräuschquelle auszuloten beginnen. Ein anfänglich ruhiges rhythmisches Hauchen und Zischen steigert sich über ein animalisches Schlürfen und Röcheln zu einem bedrohlichen Knurren, begleitet von projizierten simplen Handgesten; links, rechts richtungsweisend, Daumen hoch, Daumen runter. Ein kurzes grelles Aufblitzen, eine Schrecksekunde, die David Lynch'sche Sound- und Bildkulisse liegt nicht allzu fern.  


Erneute Stille, man ahnt, dass Klank sich im Raum verteilt, man ahnt nur ungefähr die Quellen der Knister-, Schab- und Plätschergeräusche, die sich im folgenden ebenso entfalten wie olfaktorische Empfindungen. Text als Erinnerungsarbeit gilt es aufzulösen, ein Metronom taktet sinnentleert als reiner Klang, die zeitliche Dimension ist ebenfalls verschwunden. Klank rekurriert hier auf Marcel Proust. Für den französischen Zeitsucher waren Gerüche ein treuer Freund, eine solide Gedächtnisstütze "nach dem Tode der lebendigen Wesen, nach der Zerstörung der Dinge".    

    
Wie Erinnerungsfetzen leuchten kleine illuminierte Kreise in der allgemeinen Umnachtung auf, produziert in einem Papprohr mit Lichtquelle. Der Raum als solches entwickelt für den letzten Teil der 45-minütigen Performance eine Eigenresonanz, eine eigene "Klanksprache". Über drei Mikros werden die Klänge und Töne aufgesammelt, im Computer neu generiert und wieder ausgespuckt. Der Pegel in dem kleinen Saal schwillt zu einer geräuschhaften Sinfonie an. Klank verlangen intensives Horchen und Lauschen statt normalem Hören als alltägliche, zweckgebundene Sinneswahrnehmung mit all ihren Ausblendungen und Redundanzen. Daumen hoch!  


In leicht gekürzter Form erschienen in: Weser-Kurier, 1. Februar 2011

 

 

Krasse Stilwechsel
Jazzfestival in der Schwankhalle • Von Anders Becker


Der Freitag des MIBNIGHT Jazzfestivals in der Schwankhalle stand überwiegend im Zeichen der Grenzbezirke des Genres. Der alte Saal beherbergte dabei die frei improvisierenden Klangforscher, während das Programm im neuen Saal den bodenständigeren Acts gehörte. Doch bereits der Name der Formation, die hier den Abend eröffnete, ließ ebenfalls einen Bruch mit den Konventionen erahnen: Das Capri Di Rote Quintett aus Hamburg spielt mit Publikumserwartungen und liebt krasse stilistische Wechsel. (...)


Wer sich bei diesem Auftritt bereits wohlig an ein Happening erinnert fühlte, kam im Anschluss im alten Saal voll auf seine Kosten. Das Bremer Quartett KLANK hatte sich mit dem britischen Soundtüftler Ben Gwilliam zusammengetan. Die Bühne sah aus wie ein begehbarer Elektronik-Baukasten. Erstaunlich trocken waren die Klänge, die die Instrumentalisten kreierten: Schleifgeräusche auf Holz, das Plinkern abgedämmter Saiten, das Klopfen auf Pick-Ups und das Knistern mit Verpackungsmaterial waren die Zutaten einer Collage, die sich nach und nach aufschaukelte. (...)


Weser-Kurier, 1. November 2009

 

 

Geräusche sind auch Musik
Das "Ohrenblicke"-Festival der Projektgruppe Neue Musik im vollbesetzten Sendesaal mit dem Kairos Quartett und der Gruppe KLANK 

Von Hartmut Lück


Seit 1991 finden die jeweils dreitägigen Festivals der Projektgruppe Neue Musik Bremen statt und verbinden Konzertdarbietungen mit Workshops und Diskussionsrunden.


Das diesjährige Treffen stand unter dem Motto "Ohrenblicke - Klangaktionen zeitgenössischer Musik". Es ging darum, szenische Aspekte des Komponierens und Musizierens wahrzunehmen und ästhetisch zu bewerten. Wir besuchten das Eröffnungskonzert mit dem Kairos-Quartett, dem Compound Percussion Ensemble und der Gruppe KLANK im Sendesaal.


Der Komponist Orm Finnendahl nennt sein Werk für Streichquartett, vier Ghettoblaster und Zuspielung "Fälschung"; dabei dienen Folklore-Aufnahmen unter anderem aus Bulgarien sowie ein Nocturne von Fyderyk Chopin als Materialgrundlage.


Ein Material, dessen Wahrheitsgehalt der Komponist problematisiert: Ist sogenannte Folklore schon kommerzialisiert, also "gefälscht", und wie "falsch" klingt Chopin in sich beschleunigendem Tempo? Ein dialektisches Ineinander der vier Streicher des Kairos-Quartetts und der Zuspielungen und ein ansprechendes Werk, das an diesem Abend noch am ehesten der traditionellen Vorstellung von Neuer Musik entsprach.


Das änderte sich radikal mit dem "Cardboard Quartett No. 3" von Hainer Wörmann, dargeboten durch die Gruppe KLANK. Die Musiker erzeugten Klänge auf Wellpappe, die mit verschiedenen  Gerätschaften  gestrichen, gekratzt und geschlagen wurde.


Geräusche sind auch Musik - das wissen wir seit der Emanzipation des Schlagzeugs im 20. Jahrhundert. Hier wird dies in einer teils ernsthaften, teils humoristischen Weise, die in ihrer Art ja durchaus auch ernsthaft ist, auf die Spitze getrieben. Ein im besten Sinne unterhaltsames Stück.


(...) Die Zuhörer der diesjährigen Festivaleröffnung im voll besetzten Sendesaal waren zufrieden: Musik, Geräusch und Happening hielten sich an diesem Abend die Waage.


Weser-Kurier, 15. November 2010